Die Südtiroler Sagenwelt

In Südtirol gibt es viele wunderschöne Plätze, die die Fantasie anregen. Nicht umsonst gibt es viele Filme, die in Südtirol spielen oder gedreht wurden. Aber es gibt nicht nur die auf Zelluloid gebannten Geschichten, sondern auch viele alte Sagen und Legenden, die in Südtirol überliefert sind. Häufig sind sie inspiriert von bizarren Felsformationen oder anderen auffälligen Landmarken. Wer Urlaub in dieser wunderschönen Ecke der Welt macht, kann sich vor der nächsten Wandertour am besten schon einmal kundig machen und beim Betrachten der Naturschönheiten tief in die manchmal düstere Sagenwelt eintauchen. Wer sich von seinem Wellnesshotel in Südtirol aus aufmacht, um solche Plätze zu erkunden, dem bietet sich auf diese Weise eine weitere Möglichkeit, den stressigen Alltag hinter sich zu lassen. Gerade in den Dolomiten gibt es eine hohe Dichte an Sagen, die erklären, warum manche Orte so schön sind.

Die Sage von den Latemarpuppen

Deutschnofen mit seinem Ortsteil Obereggen liegt in den westlichen Dolomiten nahe des Latemarstocks. Wandern und Skifahren gehören hier zu den klassischen Urlaubsbeschäftigungen. Zum Latemar gibt es eine düstere Sage.

Ein paar Kinder trieben ihr Vieh nach Hause, als Minega, die Älteste von ihnen, ein Messer mit einem goldenen Griff bemerkte. Sie hob es auf und brachte es dem alten Mann, der in der Nähe wohnte. Der Alte bedankte sich erfreut und bot Minega an, ihr einen Wunsch zu erfüllen. Etwas schüchtern wünschte sie sich eine Puppe. Der Alte nickte und sagte zu ihr, dass sie am nächsten Tag mit den anderen Kindern wiederkommen sollte. „Dann führe ich euch eine große Schar Puppen vor, von denen ihr euch die schönste aussuchen könnt.“ Auf dem weiteren Heimweg traf Minega eine fremde Frau, die freundlich grüßte. Minega grüßte zurück und erzählte der Frau von dem alten Mann. „Du hast Glück“, meinte die Fremde, „der Alte Venediger ist steinreich. Er wohnt in der Berggegend Latemar und hortet viele Schätze, auch Puppen. Die eine Sorte trägt bunte Seidenkleider, die andere Sorte Brokatgewänder, Perlenschmuck und Goldkronen. Zeigt er dir morgen nur die in den Seidenkleidern, musst du folgenden Spruch aufsagen: ‚Puppen von Stein mit seidenen Fetzen, bleibt dort und schaut euch den Latemar an.‘ Dann wird er auch die wertvolleren Puppen holen.“

Mit diesen Worten ließ die Fremde Minega stehen und verschwand im dunklen Wald. Am folgenden Tag erschien Minega mit den anderen Hirtenkindern auf dem Latemar. Plötzlich ertönte von oben ein seltsames Geräusch. Als sie hochblickten, öffnete sich ein Himmelstor, durch das ein langer Zug von Puppen in bunten Seidenkleidern erschien. Nachdem Minega das erste Staunen abgelegt hatte, sagte sie ihren Spruch auf. Da ertönte ein lautes Pfeifen und Sausen begleitet von einem Hohngelächter aus dem Wald und die Puppen versteinerten. Die farbigen Kleider der Puppen kann man noch heute in der Sonne glänzen sehen.

Die Nixe vom Karersee

Nicht weit vom Latemar liegt der Karersee, der zur Gemeinde Welschnofen gehört. Er ist eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Region. Von ihm aus lässt sich der Latemar betrachten. Der Grund für das in schillerndsten Farben leuchtende Wasser des Karersees hat mit einer unglücklichen Liebe zu tun.

Abbildung 2: Eine Nixe soll der Grund für die Farbgebung des Karersees sein.

Ein Hexenmeister hatte sich in die Wasserfee vom Karersee verliebt. Er fragte seine Freundin, die Hexe Langwerda, um Rat. Sie riet ihm, sich als Juwelenhändler zu verkleiden und vom Latemar einen Regenbogen nach Rosengarten zu spannen. Dann solle er zum Karersee eilen, die Nixe anlocken und sie entführen. Der Hexenmeister tat wie geraten, vergaß jedoch die Verkleidung. Die Wassernixe war zwar angetan vom glitzernden Regenbogen und den Edelsteinen, tauchte aber rasch wieder im See unter, als sie den Hexenmeister am Seeufer bemerkte.

Seit diesem Ereignis wurde sie nie wieder gesehen. Der Hexenmeister verfiel in Liebeskummer und war ob seines Misserfolgs so zornig, dass er den Regenbogen zerschmetterte und seine Einzelteile zusammen mit den Edelsteinen in den Karersee schleuderte. Dort blieben sie und darum schimmert der See auch heute noch in den schönsten Regenbogenfarben und bekam von den Ladinern den Namen „Lec de ergobando“, was Regenbogensee bedeutet.

Die Steinegger Erdpyramiden

Zwischen Rosengarten, Latemar und Schlern befindet sich Steinegg. Der Ort glänzt mit diversen außergewöhnlichen Sehenswürdigkeiten. Hoch über der Eggental-Schlucht ragt die Burg Karneid, die in den Sommermonaten im Rahmen von geführten Touren zugänglich ist. Auch „Max Valier“, die einzige Sternenwarte Südtirols und das Planetarium in Obergummes lohnen einen Abstecher. In eine Sage Eingang gefunden haben jedoch die Erdpyramiden.

Abbildung 3: Nicht nur in Steinegg, auch in Ritten bei Bozen gibt es die bizarr geformten Erdpyramiden.

 Der Dosserbauer war es leid, weiter den Pachtzins für eine Wiese zu zahlen. Deshalb behauptete er, dass die Wiese ihm gehörte. Da es keine Urkunden gab, die das Gegenteil belegen konnten, sprach das Gericht in Steinegg dem Dosserbauer die Wiese zu. Er musste dafür allerdings einen eidesstattlichen Schwur ablegen. Noch am selben Abend zog ein furchtbares Unwetter über Steinegg. Es blitzte und donnerte, der Regen prasselte mit Gewalt hernieder und wurde von Stürmen durch das Dorf gepeitscht. Niemand traute sich vor die Tür. Erst als der Morgen graute, beruhigten sich die Naturgewalten und der Dosserbauer schaute nach Schäden auf seinem Besitz. Bei der Wiese angekommen, musste er feststellen, dass sie verschwunden war. An ihrer Stelle war nur ein tiefer Abgrund mit ein paar Spitzen und Schuttkegeln zu sehen. Die Erdpyramiden waren entstanden.

Sagen erzeugen Bilder im Kopf

Nicht nur die landschaftlichen Schönheiten Südtirols lassen den Besucher staunen. Das Wissen um ein paar alte Sagen erhöht den Wandergenuss. Der vom Essen bekannte Spruch „das Auge isst mit“ lässt sich abwandeln in „die Fantasie schaut mit“ und lässt den Wanderer in andere Welten eintauchen. Und solche Sagen gibt es nicht nur im Eggental, sondern in den gesamten Dolomiten und in ganz Südtirol.

Bildquellen:

  • Abbildung 1: Pixabay © rottonara (CC0 Public Domain)
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  • Abbildung 3: Pixabay © rottonara (CC0 Public Domain)